Im Rahmen meines wirtschaftswissenschaftlichen Studiums ist mir dieses Büchlein in die Hände gefallen. Aber halt, keine Angst, es handelt sich hier nicht um reine Fach-Lektüre. Denn hier geht es nicht um trockene Theorie sondern um sehr große Ideen auf denen alles fußt, was unsere Lebenswirklichkeit bestimmt. Ich habe seit jeher ein Problem mit „politischen Eiferern“. Gut möglich dass das so ist, weil sie einfach recht haben oder ich neidisch auf die notwendige Selbstsicherheit bin. Jedenfalls erwähne ich das, weil der Autor dieses kleinen Büchleins (es hat weniger als 100 Seiten) ein überzeugter Sozialist ist. Sein Name ist G. A. Cohen, ein kurz nach der Veröffentlichung dieses Buches im Jahre 2009 verstorbener Professor für Gesellschaftstheorie und Politische Theorie von der University of Oxford. Das faszinierende an ihm ist, dass ich hier an keiner Stelle das Gefühl hatte, dass es sich bei Cohen um einen für die Wirklichkeit blinden Prediger handelt. Er verbindet intellektuelle Aufrichtigkeit und Reife mit Leidenschaft und Herz.

In vielen Fällen wird einem ja geraten zu den original-sprachlichen Ausgaben zu greifen. In diesem Fall möchte ich gegenteiliges tun. Denn die beim Albrecht Knaus Verlag erschienene deutsche Fassung von 2010 ist besonders interessant. Cohens Essay wird durch ein Nachwort von Rainer Hank kommentiert. Hank leitet die Wirtschafts- und Finanzredaktion der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung und ist ein beliebter Gast, wenn es in Talkshows jemanden braucht der keine Angst hat für eine eher neoliberale Perspektive zu argumentieren und in diesem Zuge zum Beispiel auch den Wohlfahrtsstaat zu kritisieren. Er kommentiert Cohens Essay extrem respektvoll ohne zu verheimlichen, dass er seine Gedanken für irreführend hält. Neu zu kaufen gibt es die Auflage nicht, aber man findet sie z.B. noch gebraucht bei rebuy oder man versucht es über booklooker.de.
Zum Schluss noch ein paar persönliche Gedanken zum Thema Kapitalismus, die auch als solche zu verstehen sind. Cohens gesellschaftlichen Ideale sind mir sehr nah. Kapitalismus definiert sich über den Marktmechanismus und das vorhanden sein von privatem Eigentum und Kapital. Dabei werden Ungleichheiten produziert, zuweilen können diese sehr groß werden. Auch bringt der Kapitalismus ganz offensichtlich ökologische und gesellschaftliche Schäden mit sich. Denn es stimmt: das System des Kapitalismus und des Marktes hat „die Tendenz, über die gesamte Wertewelt den Primat der Geschäftsinteressen zu proklamieren“ (Sombart, W. (1931). Kapitalismus. (A. Vierkandt, Hrsg.) Handwörterbuch der Soziologie, S. 258-277).
Aber wer den Kapitalismus nicht nur in seiner Ausgestaltung sondern ganz grundsätzlich kritisiert, muss sich die Frage nach Alternativen gefallen lassen. Und es gibt tatsächlich gute Ideen, wie wir unser Wirtschaftssystem verbessern und verändern können. Meiner Ansicht nach ist der Kapitalismus als System in Diskussionen aber auch oft ein vorgeschobenes Argument, um sich selbst aus der Verantwortung zu ziehen. Den Menschen in den Mittelpunkt zu rücken, ist unsere Aufgabe. In Deutschland haben wir mit dem Wohlfahrtsstaat vielleicht die Ergänzung gefunden, die den Kapitalismus zu dem besten Wirtschaftssystem macht, was bisher ausprobiert wurde. Leider ist zu beobachten, dass sich der Wohlfahrtsstaat in den letzten Jahrzehnten immer mehr zurückgezogen hat. Auch hat sich die Politik immer mehr von einzelnen Interessensgruppen die Zügel aus der Hand nehmen lassen. Dies gilt es umzukehren. Viele dieser Zügel liegen allerdings heute nicht mehr innerhalb nationaler Grenzen. Die Globalisierung kann an vielen Stellen als ein Treiber von unliebsamen Effekten gesehen werden. Modelle wie die Postwachstumsökonomie wollen diese Effekte durch Selbstversorgung oder Regionalwährungen umkehren. Allerdings ist fraglich, ob nur allein durch Reduktion und Lebensstilanpassung alle ökologischen Ziele erreichbar sind oder besser gesagt, es das Ergebnis uns wert ist all das aufzugeben, was uns die Globalisierung gebracht hat. Bei diesen Überlegungen lande ich schnell bei dem Gedanken, das es hier wieder die Europäische Union ist, die eigentlich eine Chance wäre, um Maßnahmen durch gemeinsames Handeln Kraft und Wirkung zu verleihen, ohne dabei in Isolation zu landen oder auf alle Effekte (Lieferketten, Reisen,…) der globalen Vernetzung zu verzichten.