Mit knapp 900 Seiten ist dieses Buch, auch inhaltlich, kein Leichtgewicht. Aber es lohnt sich – sehr! Als Skandinavien-Fan ist allein schon die Tatsache, dass nicht nur der Autor Norweger ist, sondern auch die Geschichte in seinem Heimatland spielt eine Leseprobe wert gewesen. Und es entfaltete sich sehr schnell ein Sog, aus dem ich nur schwer entrinnen konnte.

Helges Persönlichkeit, was ihn ausmachte, hatte kein Alter. Sie war umgeben von sechzig Jahren voller Erlebnisse und Erfahrungen, und bei vielen wäre dadurch der Weg zur Persönlichkeit weit gewesen, vielleicht so weit, dass diese Persönlichkeit nur etwas war, was sie für sich allein hatten, ein Klang ihrer selbst inmitten aller Gedanken und Gefühle, von dem kein anderer mehr etwas wusste. Aber bei Helge war der Weg dorthin kurz. Wenn er vor Begeisterung für etwas übersprudelte oder wenn ihn etwas traurig stimmte, oder wenn er etwas unbeschreiblich lustig fand und vor lauter Lachen völlig die Fassung verlor. Das machte ihn verletzlich, und diese Verletzlichkeit liebte ich.

Karl Ove Knausgård verwebt verschiedene Erzählstränge, die verschiedenen Protagonisten folgen zu einer großen Geschichte. Dabei hat alles stets einen roten Faden, der nur selten kurz verschwindet. Besonders begeistert hat mich die erzählerische und inhaltliche Vielfalt, die sich auch in den Gefühlen gespiegelt hat, die ich beim Lesen hatte. Denn das Buch hat einen leicht mystischen, manchmal auch absurden Einschlag, aber eben nur so viel, dass es für meinen Geschmack anziehend und nicht entfremdend gewirkt hat. Und dann gibt es auch die Seiten, die realistisch und wach die Kraft von Beziehungen und die, dem Menschen innewohnende Sehnsucht nach Nähe zeichnen.

Wir wissen nicht, warum es die Schwerkraft gibt, aber wir wissen, was sie ist und wozu sie führt. Gleiches gilt für den Tod. Die beste Art zu sehen, was der Tod ist oder wie er sich auswirkt, besteht vielleicht darin, sich vorzustellen, wie das Leben aussähe, wenn es den Tod nicht gäbe. […] Hier geht es selbstverständlich nicht darum, dass der Tod in die Welt eingeführt wird, sondern darum, dass das Bewusstsein vom Tod entsteht. An diesem Punkt, mit dem Todesbewusstsein, wurden wir Menschen. Es trennt uns von den Tieren, und es trennt uns vom Augenblick. […] Könnte Gott das gemeint haben, als er sagte, dass sie sterben würden, falls sie die Früchte vom Baum der Erkenntnis äßen? Dass sie aus diesem paradiesischen Zustand gerissen, dass sie sterben würden? Und dass dieser Tod eine Strafe war, so dass die Welt, in die sie fielen und die wir bis heute bewohnen, am ehesten als Hölle verstanden werden muss?

Ich empfehle hier die Übersetzung von Paul Berf. Das original erschien 2020 auf norwegisch.

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